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Oasen der Aufklärung

Ugandische Humanist*innen versuchen, jungen Menschen im Herzen des afrikanischen Kontinents zu einem guten Start in das Leben zu verhelfen.

Foto: KHPS

Klassenfoto an der Kasese Humanist Primary School, einer humanistischen Grundschule in Uganda. Sie ist ein Leuchtturm der Bildung auf dem afrikanischen Kontinent und Vorbild für mittlerweile ein Dutzend weiterer humanistischer Schulen im Land geworden. Foto: KHPS

Die vor elf Jahren unter bundesweiter Aufmerksamkeit im fränkischen Fürth eröffnete Humanistische Grundschule ist bis heute ein Leuchtturm humanistischer Bildungsarbeit in Deutschland. Aus allen Regionen der Bundesrepublik zieht das Projekt Bewunderung auf sich und lockt auch aus dem Ausland jedes Jahr staunende Besucher an. Zwar gilt die Fürther Schule inmitten des vergleichsweise säkularen europäischen Kontinents als Vorzeigeprojekt. Die einzige ihrer Art ist sie nicht auf der Welt. Ein Geschwisterprojekt wächst seit einigen Jahren ausgerechnet dort, wo man es wohl am wenigsten vermuten würde: Im tiefreligiösen Südwesten von Uganda erhalten mehr als 300 junge Menschen unter 15 Jahren ihre schulische Grundbildung unter dem Leitspruch „With Science, we can progress“ – „Mit Wissenschaft kommen wir voran“.

Bwambale Robert. Foto: privat

Bwambale Robert. Foto: privat

Was manchem wie ein sozialistischer Werbeslogan in den Ohren klingeln könnte, bringt für Bwambale Robert die tiefe Hoffnung zum Ausdruck, die Situation der Menschen in seinem Land ein wenig zum Besseren wenden zu können. Der 39-Jährige ist Direktor der Kasese Humanist Primary School, die nach dem Distrikt an der Grenze zur Republik Kongo, in dem sie sich befindet, benannt ist. Rund 750.000 der knapp 43 Millionen Einwohner Uganda leben im Distrikt Kasese, von denen laut offiziellen Statistiken nur knapp ein Prozent keiner der im Land vertretenen Religionen anhängen. Und Bwambale Robert glaubt auch nicht, dass die offiziellen Zahlen stark von der Realität abweichen, wie es etwa in Deutschland der Fall ist. „Ich würde schätzen, dass etwa zwei Prozent sagen, dass sie nichtreligiös sind“, so Bwambale. Denn in Uganda gebe es für die allermeisten Menschen keine Alternative dazu, einer Religion anzugehören. Er hält es zwar für wahrscheinlich, dass noch mehr Menschen im Land tief in sich eine Skepsis gegenüber Glaubenslehren verspüren, doch für die ganz große Mehrheit zähle religiöse Praxis und die Teilnahme an religiösen Ritualen fest zum Alltag.

Die meisten Schulen werden von Kirchen betrieben

Logo: Kasese Humanist Primary School

Logo: Kasese Humanist Primary School

Ein Grund dafür ist, dass eine Mehrheit der Bildungseinrichtungen im Land von Religionsgemeinschaften betrieben wird. Seit 1997 die allgemeine Schulpflicht eingeführt wurde, gibt es zwar immer mehr staatliche Schulen. Doch diese konnten den riesigen Bedarf noch nie decken: Rund 50 Prozent aller Einwohner Ugandas sind derzeit nicht älter als 14 Jahre. Und so decken bis heute insbesondere christliche Schulen die riesige Nachfrage im Land, in dem rund 40 Prozent aller Einwohner als Angehörige der katholischen und 35 Prozent der anglikanischen Kirche gezählt werden. Daneben gibt es noch eine stark wachsende evangelikale Minderheit, weitere rund zwölf Prozent der Einwohner sind Muslime oder Anhänger von kleineren Minderheitenreligionen. „Die allermeisten Kindertagesstätten, Grund-, Sekundar- und Fachhochschulen sowie Universitäten werden von Kirchen betrieben“, berichtet Robert, der Studienabschlüsse in Biologie, Personalwesen und Unternehmensführung besitzt.

Das naturwissenschaftliche Studium war es, das den in einer frommen anglikanischen Familie aufgewachsenen Schulrektor dazu brachte, sich dem Zweifel zu öffnen und die überlieferten und anerzogenen Gewissheiten zu hinterfragen. Schließlich war er soweit, sich offen als atheistischer Humanist zu bekennen und begann, nach Gleichgesinnten zu suchen, um vor Ort eine eigene Organisation zu gründen: die Kasese United Humanist Association. Rund 45 Mitglieder gehören ihr derzeit an. Aus der Gruppe ging die Initiative zum Aufbau der Grundschule hervor.

Mehr als zwei Millionen Kinder sind Waisen

Bwambale Robert meint, die Weise wie nichtreligiöse Menschen für Atheismus, Humanismus und wissenschaftliches Denken werben, sei „oft etwas technisch“. Er habe aber die Auffassung, dass für Ideen und Überzeugungen am besten durch Taten geworben werden kann. „Uns geht es hier darum, Menschen zu bestärken, Herr ihrer selbst zu werden. Immer wieder mache ich gegenüber den Leuten dabei deutlich, dass dafür nicht ein Gott oder Götter da sind, sondern dass wir Menschen das Potential haben, jedes vorstellbare Problem zu lösen“, sagt er. Die Schüler profitieren deshalb davon, in einer säkularen, religionsfreien Umgebung zu lernen, wo sie frei aufwachsen, selbst denken und jede Frage stellen können, die ihnen in den Sinn kommt. Die Akzeptanz der Individualität jedes Kindes und Jugendlichen, Respekt für ihre Rechte und Wertschätzung ihres Engagements bilden weitere zentrale pädagogische Maßstäbe. „Mein Traum ist es ein Niveau sicherzustellen, in dem das Denken nicht kompromittiert wird“, fasst Bwambale Robert die Ziele zusammen. Und solche aufklärerischen und humanistischen Rahmenbedingungen haben in Ländern wie Uganda eine noch wesentlich größere Bedeutung als etwa in Deutschland. Denn dort können die Schüler nach Unterrichtsende nicht immer nach Hause fahren.

Manche kommen normalerweise nur alle paar Wochen zu ihren Eltern – und für einen Teil der Schüler sind die Schulen so etwas wie ein Zuhause: Denn mehr als zwei Millionen ugandische Kinder und Jugendliche sind Waisen. Eine der bedeutendsten Ursachen dafür, dass viele ohne Eltern aufwachsen müssen, sind das HI-Virus und andere Krankheiten. Zwar liegt die HIV-Infektionsrate in Uganda mittlerweile nur noch bei fünf Prozent. Doch allein an der Kasese Humanist Primary School werden mehr als 50 verwaiste Mädchen und Jungen zwischen 3 und 14 Jahren betreut und unterrichtet. Möglich gemacht hat das bislang die Unterstützung von Konfessionsfreien aus den Vereinigten Staaten, Kanada und und anderen westlichen Ländern. Diese übernahmen die Kosten in Höhe von 125 bis 250 US-Dollar (umgerechnet etwa 110 bis 225 Euro) für Verpflegung und Schulmaterialien. Doch aktuell sind immer noch viele Kinder ohne solche „Sponsoren“; für ihre Kosten kommen die Schule und die winzige humanistische Gemeinschaft in Kasese auf. Aber nicht nur die Aufnahme von Waisenkindern, auch die Entstehung der heutigen Schule wäre ohne finanzielle Unterstützung aus den wohlhabenderen Ländern nicht möglich gewesen, obwohl die notwendigen Beträge im Vergleich winzig erscheinen: Die etwa im 2015 fertigstellten Schulgebäude, die seitdem neben den bisherigen Gebäuden eines stillgelegten Bahnhofs Lernräume und Obdach bieten, kosteten umgerechnet rund 22.000 Euro.

Zum Vergleich: Die Investitionen für den humanistischen Bildungscampus im fränkischen Fürth summierten sich einschließlich angeschlossener Kita und Kinderkrippe auf etwa fünf Millionen Euro. Die Mittel für den Neubau der Kasese Humanist Primary School waren ganz überwiegend durch Spendensammlungen unter US-amerikanischen, kanadischen und australischen Humanist*innen zusammengekommen.

Idealistische Multitalente werden gebraucht

Neben Schulrektor Bwambale Robert arbeiten über ein Dutzend Lehrerinnen und Lehrer sowie mehrere Betreuer*innen und Ehrenamtliche an der Grundschule. Und alle müssen Multitalente sein, denn der Schultag bringt auch in Uganda weit mehr Aufgaben und Herausforderungen mit sich, als nur in einem oder zwei Fächern zu unterrichten. Mädchen wie Jungen benötigen Beratung und Unterstützung bei sexualpädagogischen Themen, von der Menstruation und Hygiene bis zur Aufklärung über Verhütungsmöglichkeiten. Spiele und sportliche Wettkämpfe, Debattier-Runden und Schulfeste sind ebenso gefragt wie Berufsberatung und Unterstützung bei dem Ziel, zum Ende der 7. Klasse eine Arbeitsstelle oder eine weiterführende Ausbildung zu finden. Und bei alldem ist nicht weniger Idealismus gefragt, als der Schuldirektor selbst in sich trägt: Denn die Lehrkräfte verdienen hier weniger als Lehrer an staatlichen und vor allem den kirchlichen Schulen. Letztere erhalten – trotz prinzipieller Festschreibung einer Trennung zwischen Staat und Religion – auch in Uganda eine erhebliche staatliche Unterstützung, sowohl materiell wie finanziell. Um die Situation an der Kasese Humanist Primary School zu verbessern und Ressourcen für den Ausbau der vorhandenen Projekte zu schaffen, können auch „Patenschaften“ für die Lehrkräfte übernommen werden.

Zu den humanistischen Projekten im Südwesten Ugandas neben der Schule selbst gehören bislang eine eigene Bibliothek und ein botanischer Garten. Außerdem gibt es seit 2015 ein nichtreligiöses Waisenheim. Eine erste Fundraising-Aktion brachte immerhin innerhalb einiger Woche 1.800 US-Dollar dafür zusammen – das Waisenheim lag Bwambale Robert auch deshalb am Herzen, weil er in seinem fünften Lebensjahr selbst Waise wurde.

Bei den Menschen in der Region seien die bisher entwickelten Projekte sehr willkommen, berichtet Robert. Bedrohungen habe es nur einige in der Anfangszeit der Schule gegeben. Vor allem ebenfalls im Bereich der nichtstaatlichen Schulen tätige Bürger hätten damals versucht, Falschinformationen zu verbreiten. Dies führte zwar zu behördlichen Untersuchungen, im Ergebnis freute man sich jedoch über eine vollständige Entlastung von den Vorwürfen.

Projekte helfen auch Erwachsenen

Die Kasese Humanist Primary School rund 8.000 Kilometer südlich von Fürth stellt somit auf dem afrikanischen Kontinent zwar ebenfalls einen Leuchtturm humanistischer Bildungsarbeit dar – ist aber längst nicht die einzige Oase der Aufklärung im Land. In den Distrikten Musaka, Busota und Mpigi sind mit Unterstützung britischer Humanist*innen und den Humanists International in den letzten Jahren ebenfalls Schulen eröffnet worden, hier jedoch für die Sekundarstufe. Auch einige Absolventen der Kasese Humanist Primary School sollen künftig hier ihre Ausbildung fortsetzen können.

Die Gründe für die Beliebtheit seiner Schule sieht Robert jedenfalls nicht nur im großen Bedarf an bezahlbaren Schulplätzen, die eine Alternative zu den wenigen mit geringen Kosten verbundenen staatlichen Schulplätzen bei zugleich oft schlechter Unterrichtsqualität darstellen. „Wir klären die Leute darüber auf, wer wir sind und wofür wir stehen. Wir erklären ihnen, warum wir Wissenschaft für wichtiger als Religion halten. Wir stellen ihnen die Kerngedanken der humanistischen Philosophie vor und machen deutlich, wie dabei Menschlichkeit und menschliche Vernunft in den Mittelpunkt der Problemlösung und Zukunftsplanung gerückt werden.“ Damit würden die Humanist*innen in Kasese immer wieder auf große Anerkennung und Wertschätzung stoßen, denn: „Es öffnet Menschen die Augen, deren Gedanken in einem Netz des Glaubens an Märchen, Mythen und Geister gefangen sind.“ So helfe die Begegnung mit den humanistischen Projekten auch Erwachsenen in der Region. „Denn sie fangen schließlich an, ihren eigenen Glauben besser zu verstehen“, so Bwambale Robert.