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Warum säkulare Länder helfen müssen

Humanist*in oder Atheist*in in Afrika zu sein kann im besten Fall soziale Ächtung bedeuten, im schlimmsten den Tod. Säkulare, liberale Länder müssen mehr für sie tun – ein Aufruf des nigerianischen Humanisten Leo Igwe

Leo Igwe – Foto: John Bagge

Von Leo Igwe, Nigeria. Übersetzung: Mariko Junge

Nichtreligiös zu sein birgt eine Menge Risiken und Herausforderungen. In vielen Nationen Afrikas und der Welt können Menschen, die sich öffentlich als Atheist*innen oder Agnostiker*innen bekennen, nicht für ein öffentliches Amt kandidieren oder eine politische Position bekleiden, denn Nichtreligiosität ist sozial wie politisch von Nachteil. Öffentlicher Ausdruck von humanistischen und freidenkerischen Ansichten steht gegen soziale Konventionen und Normen. Es verstößt gegen Gesetze und bricht Tabus, was Einzelne ohne Glauben oder jene, die Gott oder Allah in Frage stellen, dazu zwingt, ihren Atheismus, skeptische Gedanken oder das Fehlen von religiösem Glauben geheim zu halten.

In Afrika werden tausende, zehntausende, in der Tat Millionen Atheist*innen, Agnostiker*innen und Freidenker*innen aufgrund ihrer Ansichten schikaniert und verfolgt. Atheisten werden mit Verachtung gestraft. Ihre Existenz und ihre Rechte werden ihnen versagt. Das ist vor allem in Ländern mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit der Fall, wo die Scharia-Gesetze gelten oder an Orten, an denen der Islam die offizielle oder faktische Staatsreligion darstellt.

In Ländern mit muslimischer Mehrheit werden Menschen, die nicht glauben, als Ungläubige bezeichnet und als solche systematisch ihrer Menschenrechte beraubt. Ein Ex-Muslim aus Nordnigeria berichtete über die Notlage, in der sich jene befinden, die sich vom Islam lossagen: „Soziale Netzwerke und Beziehungen schrumpfen. Familienmitglieder lehnen die Person ab. Wenn er oder sie öffentlich den Islam kritisiert oder sich weigert, dessen Grundregeln einzuhalten, kann die Person als Ketzer bezeichnet und diversen Misshandlungen ausgesetzt werden.“ Atheist*innen und Humanist*innen gehen das Risiko ein, von Familienmitgliedern verraten und verstoßen zu werden, wie im Fall von Mubarak Balas aus Nigeria, der für die Abwendung vom Glauben in eine psychiatrische Klinik eingeliefert worden war. Unglaube an Gott oder Allah hat soziale und politische Konsequenzen, darunter: „Ächtung, Abriss von Familienbanden, Bedrohung des Lebens, Verlust des Arbeitsplatzes, Exil, Verlust von Eigentum, Enterbung, Schikane, Erpressung“. Eine berühmte Frau aus Nigeria erzählte mir vor einigen Jahren: „Sollte eines meiner Kinder sich vom Islam abwenden, will ich nichts mehr mit ihm zu tun haben.“

Diese Ansicht ist in der Region weit verbreitet. Neben sozialen Sanktionen werden Humanist*innen und Freidenker*innen durch den Staat oder nicht-staatliche Akteure hingerichtet aufgrund ihrer Ansichten und Meinungen. Im Scharia-Gesetz sind der Abfall vom Glauben und Gotteslästerung Verbrechen, die mit dem Tod bestraft werden können. Diese Strafnormen sind Waffen, die besonders islamisch-religiöse Einrichtungen nutzen, um nichtreligiöse Menschen ins Visier zu nehmen und Atheismus, religiöse Abweichung und Nichtglaube zu unterdrücken.

Deshalb gehört für Atheist*innen und religiöse Dissidenten in der Region Risikoanalyse sowie konstante Bewertung und Neubewertung ihrer Sicherheit zum Alltag. Das Leben einer*s Atheist*in ist voll von Ängsten und Unsicherheiten. Atheist*innen wissen nicht, ob sie leben oder sterben werden; ob sie im Grab oder Gefängnis enden aufgrund ihres Atheismus‘ oder fehlenden Glaubens. Atheist*innen wissen nicht, wie ihre Freunde, Familie und Gesellschaft ihre areligiösen oder nichtreligiösen Standpunkte auffassen und darauf reagieren werden.

Es ist wichtig hervorzuheben, dass Humanist*innen und Freidenker*innen keine Sonderbehandlung verlangen. Nichtreligiöse wollen in einer Gesellschaft leben, die Gleichheit, Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenrechte gewährleistet für alle, unabhängig vom religiösen Glauben oder dessen Abwesenheit.

Sie wünschen sich, ihr Leben ohne Angst und Verfolgung führen zu können, wie andere Menschen auch. Angesichts dieser Lage schauen Humanist*innen überall auf Länder, die sie beim Erreichen dieses Ziels unterstützen. Mit der wachsenden Bevölkerung nichtreligiöser Menschen weltweit haben viele Länder die Möglichkeit, gefährdete Humanist*innen zu verteidigen. Länder sollten ihre Position als Mitgliedsstaaten des Commonwealth, der UN und anderer regionaler und internationaler Körperschaften nutzen, um das Ende der Verfolgung und Diskriminierung nichtreligiöser Menschen auf der Welt zu unterstützen.

Zum Abschluss möchte ich auf etwas hinweisen, das 1995 in Neuseeland geschah, als die Regierungschefs des Commonwealth sich in diesem Pazifikstaat trafen. Bei dem Treffen beschlossen sie, Nigeria aufgrund der Hinrichtung des nigerianischen Umweltschützers Ken Saro Wiwa und anderer Minderheitenrechtsaktivist*innen als Mitglied zu suspendieren. Dieser Beschluss war wirkungsvoll und half dabei, das Ende der Militärregierung des Nigerianischen Diktators General Sani Abacha herbeizuführen und die Wiederherstellung der Demokratie im Land voranzutreiben.

Länder, die diese Phase der sozialen Evolution bereits hinter sich haben und es geschafft haben, altertümliche Vorstellungen von Strafen für Nichtglauben abzulegen können es sich nicht leisten, tatenlos zuzusehen wie Atheist*innen und Säkulare in Nigeria, Mauretanien, Zambia, Südafrika, Ägypten, Tunesien, Saudi Arabien, Bangladesch und Indonesien attackiert und getötet werden. Alle Länder, die die Menschenrechte schätzen und achten, können nicht wegsehen, während nichtreligiöse Menschen in diesen Staaten als Terroristen und Kriminelle behandelt werden. Wie der Fall von Ken Saro Wiwa beweist, können Resolutionen, die Parlamentarier in ihren verschiedenen Räten verabschieden einen signifikanten Unterschied machen im Leben der Humanist*innen, die weltweit verfolgt werden. Die Entscheidungen, die Politiker*innen treffen, können positiven Einfluss nehmen auf die Herausforderungen, mit denen sich Nichtreligiöse an fernen Orten konfrontiert sehen. So können viele Staaten einen Unterschied machen im Leben aller gefährdeter Humanist*innen. Staaten haben die Macht, die Situation nicht-religiöser Menschen zum Besseren zu wenden. Staaten sollten diese Macht nutzen, alle gefährdeten Humanist*innen zu schützen und alle Formen religiöser Verfolgung und Unterdrückung zu beenden. Staaten sollten jetzt handeln, um die Menschenrechte und Freiheiten aller Atheist*innen und Freidenker*innen weltweit zu verteidigen.